Kapitel 2025.07
- Christian M. Huber

- vor 19 Stunden
- 6 Min. Lesezeit
Dennis Hand führte das Mobiltelefon im Schneckentempo ans Ohr. Ein Klicken ertönte in der Leitung. Dann eine tiefe, zugleich professionell und wohlklingende Männerstimme:
„Polizeinotruf. Bitte geben Sie mir Ihren Namen und Ihren aktuellen Standort durch!“
Die Worte hallten leer durch Dennis Kopf. Sein Verstand wusste, was zu tun war. Wusste welche Worte er zu sagen hatte. Er öffnete den Mund. Kein Laut entkam. Von außen betrachtet, musste er wie ein am Boden sitzender stumm schreiender Mann wirken. Die Luft, aus der hätten Worte entstehen können, entwich mit kaum mehr als einem leisen Seufzen aus seiner Lunge.
„Polizeinotruf! Wer ist dran? Sie rufen von einem Mobilfunkgerät an. Wir können sie orten und eine Streife vorbei schicken.“, die Stimme klang noch immer routiniert, enthielt jedoch einen sorgenvollen Unterton.
„Ich…“, Dennis stockte. Was genau sollte er sagen? Ich werde von einer Bande erpresst und muss für sie arbeiten und werde wahrscheinlich bei Verbrechen mithelfen müssen. Bitte helfen sie mir? In seinem Kopf klangen die Worte seltsam lächerlich.
„Ich alarmiere eine Streife. Können sie frei sprechen? Können sie mir ihren genauen Standort durchgeben?“, mehr Sorgen, dennoch gewohnt ruhig.
„Ich weiß nicht, ob…“, Dennis brach kurz ab, begann von neuem:
„Ich brauche keine… es ist… ich… es tut mir leid… ich habe mich verwählt…“, sich selbst die Worte laut aussprechen zu hören, machte das eben gesagte nicht besser, stellte Dennis fest.
„Sind sie sicher, dass sie keine Hilfe brauchen? Die Kollegen können in wenigen Minuten bei ihnen sein. Wissen sie, wo sie sind? Können sie mir den genauen Ort mitteilen?“
Der Mann am anderen Ende der Leitung ließ nicht locker. Vermutlich würde Dennis selbst auch das aller Schlimmste vermuten, wenn er einen Anruf von einem brüchig daher stotternden Mann erhalten würde, der mit fast weinerlicher Stimme kaum verständliche Sätze murmelte.
„Es ist nichts. Es tut mir leid. Ich habe mich verwählt.“, wiederholte Dennis und versuchte seiner Stimme so viel Nachdruck und Glaubwürdigkeit wie möglich zu verleihen. Die Vorstellung davon, dass in einigen Augenblicken zwei oder gar mehr Polizisten an seiner Wohnungstür klingeln könnten, machte ihm Panik. Die Kerle des Revolvermanns hatten ihm angedroht, dass etwas passieren würde, wenn er die Polizei einschaltete. Wahrscheinlich ließen sie ihn überwachen.
„Ich weise sie darauf hin, dass der Missbrauch des Notrufs strafbar ist. Haben sie das verstanden?“, ärgerlich und drohend klang der Mann nun.
„Ja… ich… es tut mir leid.“, stammelte Dennis nun kleinlaut zurück.
„Ich lege nun auf. Bitte nutzen sie den Notruf nur im Notfall.“
Dann war die Leitung tot. Das Telefon sank Dennis aus der Hand, rutschte auf den Boden und Dennis konnte jenes unangenehme Geräusch hören, dass nur dann entstand, wenn ein Mobiltelefon mit dem Display nach unten auf den Boden klatschte. Er schlang beide Arme fester um seine Beine. Stille umgab ihn. Die Dämmerung schien draußen hereinzubrechen, denn das Licht in seiner Wohnung wurde fahler. Atemzug um Atemzug verging. Alles in ihm war leer. Dennis fühlte sich ähnlich, wie nach einer durchzechten Nacht mit Drogen. Die Übelkeit und der Schwindel fehlten. Dennoch war der kümmerliche an das Innere der Wohnungstür gelehnte Rest zerstört.
Die Nacht drehte den Tag hinweg. Gelegentlich waren von draußen Geräusche durch die Tür gedrungen. Die ersten paar Male hatte Dennis mit steigendem Puls gelauscht und befürchtet, hämmernde Fäuste würden die Ruhe hinwegfegen und eine Stimme würde laut „Polizei, bitte öffnen sie die Tür“ rufen. Später dann versanken die Geräusche von draußen in der dumpfen Eintönigkeit der Leere in seinen Gedanken.
Das nächste Geräusch, dass die Stille durchbrach, kam aus seinem Bauch. Bärenartig rumorte sein Magen und deutete darauf hin, dass die letzte Mahlzeit Monate zurückliegen musste. Erst jetzt merkte Dennis, wie trocken sein Mund war. Und das er roch. Erbärmlich. Ob dies die Kleidung war, er selbst oder eine Mischung aus beidem, konnte er nicht unterscheiden. Der Dreiklang aus Gestank, Hunger und Durst trieb ihn aus seiner Lethargie. In einer Mischung aus Abstützen, am Türgriff hochziehen, Wanken und höchster körperlicher Anstrengung gelang es ihm, sich in eine halbwegs aufrecht stehende Position zu bringen. Aufs schmerzhafteste machte sein Körper ihn erneut darauf aufmerksam, dass etwas mit seinen Rippen nicht stimmte.
Dennis schlurfte ins Bad. Streifte sich die Kleidung ab, stopfte sie in den kleinen und anschließend hoffnungslos überquellenden Mülleimer, ging unter die Dusche und stellte das Wasser an. „Scheiß auf Hausmeister Krause“, dachte er mit dem selbst ausgedachten Namen an den unter ihn wohnenden Mittvierziger, dessen Hobby das Lärmen über die nächtlichen für seine Begriffe zu lautstarken Angewohnheiten der Mitmieter zu sein schien, bevor die anfängliche Kälte ihn schmerzhaft verkrampfen ließ.
Einige stoßweise Atemzüge später wurde das Wasser warm. Dann heiß. Dennis genoss die ihn durchflutende Hitze. Lange. Sehr lange. Erst als der dampfende Strahl kühler zu werden begann, drehte er den Hahn zu. Dennis trocknete sich dürftig ab. Trank aus dem Wasserhahn am Waschbecken gierig, bis sein Körper genug hatte. Wenige Augenblicke später lag er in seinem Bett. Die wohlige Wärme seiner Decken tat gut. Er dämmerte schnell in einen unruhigen Schlaf hinein.
<später>
Es klopfte an die Wohnungstür. Laut. Mehrfach. Dumpfe heftige, fast unmenschliche Schläge.
„Aufmachen!“, rief jemand von draußen.
Dennis stand innen vor seiner Wohnungstür. Wie durch unfassbar schweres Wasser, bewegte sich seine Hand in Richtung Türgriff.
„Wir wissen, dass sie da drin sind! Machen sie die Tür auf!“
Langsam, Millimeter für Millimeter näherten sich seine Finger dem Griff der Tür.
„Polizei. Wenn sie jetzt nicht öffnen, kommen wir mit Gewalt zu ihnen rein!“
Dennis spürte das kalte Metall an seiner Hand. Drückte die Klinke herunter. Zog. Die Tür schwang auf. Instinktiv wich er zwei Schritte zurück. Zwei kleiderschrankgroße Polizisten starrten ihn an. Einer von beiden machte einen Schritt nach vorne und kam im Türrahmen zu stehen. Dennis wich weiter zurück.

„Dennis Kramer?“, herrschte ihn derjenige an, der den Schritt nach vorne gemacht hatte. Die Stimme hallte seltsam nach und klang wie das merkwürdige Zerrbild eines Pfarrers in der Kirche. Dennis konnte nicht antworten. Erstarrte in seiner Bewegung völlig unfähig auch nur einen einzigen Ton über seine Lippen zu bringen.
„Sie sind Dennis Kramer. Wir verhaften sie wegen der Mitgliedschaft in einer Verbrecherbande, wegen mehrfachen Diebstahls und wegen Entführung eines unschuldigen Bürgers.“
Der Kollege folgte und die beiden Polizisten schienen in ihren Uniformen noch ein Stück zu wachsen. Dennis wollte schreien. Davonlaufen. Weiter zurückweichen. Alles zugleich. Er scheiterte. Stolperte rückwärts, landete auf seinem Hintern. Die Eindringlinge wuchsen zu schier unermesslicher Größe. Der zweite Polizist zeigte an Dennis vorbei in den Raum.
„Da haben wir ja das Entführungsopfer!“
Dennis versuchte sich zu drehen. Den Blick nach hinten zu wenden. Erst gelang ihm das nicht, dann drehte sich alles plötzlich und er sah einen nackten Mann an einen Stuhl gefesselt. Der Mann hob den Kopf und Dennis sah sich selbst an. Sah sich gefesselt auf dem Stuhl. Blickte in seine eigenen Augen. Dann öffnete der Mann/er selbst den Mund. Ein Schrei erfüllte den Raum. Eine Mischung aus Wolfsgeheul und Löwengebrüllt versetzte jede einzelne Faser seines Körpers in Schwingung.
„LASSEN SIE DIE WAFFE FALLEN!“, der Polizist, der als erstes durch die Tür gekommen war, schrie in seine Richtung und Dennis Kopf ruckte herum. Blickte in die finsteren Läufe zweier gezogenen Dienstwaffen. Die Polizisten hielten die Waffen in ihren ausgestreckten Armen, jeweils unterstützt durch die andere Hand.
„WAFFE FALLEN LASSEN! SOFORT!“, Dennis spürte, dass er kaum mehr Zeit zum nachdenken haben würde. Etwas schweres zog seine rechte Hand nach unten. Er ahnte mehr, als dass er sah, was dieses Etwas sein würde.
„WAFFE WEG! SOFORT! WAFFE FALLEN LASSEN! WIR SCHIEßEN!“, und an dieser Drohung hatte Dennis keinerlei Zweifel. Er hob dennoch den Arm. Konnte die Finger um den Griff des riesigen Revolvers nicht lösen. War sich der drohenden Situation bewusst und sah dennoch dem zentimeterweise nach oben wandernden schweren Tötungsgerät in seiner Hand dabei zu, wie es seinen Untergang besiegeln würde.
Ein Knall durchbrach die Szenerie. Schmerz durchbohrte Dennis linke Seite. Er zuckte zusammen. Krümmte sich. Konnte kaum Luft holen. Schrie. Wachte auf.
Seine linke Seite schmerze. Er hatte sich von der Bettdecke freigestrampelt. Lag auf ihr und spürte, wie sie exakt auf die Stelle an seinem Brustkorb drückte, die ihn pochend und stechend an seine Gefangennahme erinnerten. Er richtet sich auf. Versuchte zu Atem zu kommen. Flach sog er die Luft ein. Die Bilder seines Traums begannen zu verblassen.
Er musste etwas gegen die Schmerzen tun. Mühte sich aus dem Bett. Irgendwo im Bad mussten Tabletten sein. Dennis fand sie. Warf sich zwei davon ein und erreichte damit bereits zwei Drittel der empfohlenen Tagesdosis. Das sollte reichen, dachte er und spülte sie gleichzeitig mit einigen Schluck Wasser aus dem Hahn hinunter. Er hoffte, dass auch die Nebenwirkung wie immer schnell eintreten würde. Müdigkeit. Er musste Schlafen. Wieder in seinem Bett liegend, schloss er die Augen. Fühlte für ein paar Momente lang, wie sein Herz noch immer schneller schlagend, Blut durch seine Adern pumpte. Dann versank er in Dunkelheit. Tiefer, traumloser aber auch wenig erholsamer Schlaf packte ihn und hielt ihn fest.
<morgens>
Klopfen. Wie aus weiter Ferne. Langsam erwachten Dennis Sinne. Es war hell. Durch das Fenster drangen die Sonnenstrahlen in das Schlafzimmer und in einem anderen Wann hätte er sofort daraus geschlossen, dass es bereits fast Mittag sein musste. Wieder ein Klopfen. Nicht leise. Nicht laut. Aber beharrlich und Dennis hatte den Eindruck, dass der Urheber des Geräusches bereits geraume und ausdauernde Weile vor der Tür stand. Erneut Klopfen. Wieder drei kurze gleichmäßige Schläge.
„Herr Kramer? Ich weiß, dass sie zu Hause sind.“


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