Kapitel 2025.05
- Christian M. Huber

- 11. Okt.
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 12. Okt.
"Warum?", brach sich das Wort vielfach in seinem Kopf.
Die letzte Mauer des Widerstands zerbrach. Verzweiflung und der reine Wille, zu überleben, löschten jeden Gedanken daran aus, sich gegen den anderen zu wehren.
„Ich brauchte das Geld…“, leise und verschämt presste Dennis die Worte heraus.
Der Revolvermann-Doppelgänger lehnte sich nach vorne. Da war es wieder. Das lauernde Raubtier.
„Ich brauchte das Geld.“, wiederholte Dennis mit etwas festerer Stimme und fuhr dann fort:
„Ich dachte, es würde nicht besonders auffallen, wenn ich ein wenig davon wegnehmen würde. Da…“
„Ein wenig? Ein wenig, sagt er doch glatt…“, wurde Dennis erneut unterbrochen und zuckte bei den Worten zusammen. Wieder hatte er den Eindruck, der andere spräche vor einem unsichtbaren Publikum.
„Du hast keine Vorstellung davon, wieviel du uns weggenommen hast, nicht wahr?“, das Wort „weggenommen“ begleitete er mit der beidhändigen Geste von Gänsefüßchen.
„Ich…“, Dennis zögerte und suchte fieberhaft nach einer Zahl. Er hatte sich jedoch nie die Mühe gemacht, eine Summe auszurechnen.
„Ich weiß nicht…“, fuhr er daher fort.
„Oh, dafür weiß ich es aber um so besser. Siebenundfünfzigtausend Euro“, der andere machte eine kurze Pause, lehnte sich wieder nach vorne und wiederholte lauter als zuvor wie Pistolenschüsse:
„Sieben. Und. Fünfzig. Tausend. Euro.“
Stille folgte. Dennis glaubte das Echo der Zahl in der Dunkelheit widerhallen zu hören. Dass es kein kleiner Betrag sein würde, hatte er geahnt. Aber so viel? Dass konnte er kaum glauben. Er wollte aufbegehren. Ein „stimmt doch gar nicht“ ausrufen. Stattdessen stammelte er brüchig:
„Das kann doch gar nicht… ich meine… so viel… das muss ein… ich…“, er wurde durch ein bedrohlich klingendes Klicken unterbrochen, hob den Blick und starrte zum zweiten Mal in den dunklen Lauf des Revolvers.
„Niemand nennt mich einen Lügner!“, knurrte der Mann hinter der Waffe, „hörst du, Dennis“, er spie den Namen aus, wie einen abgelutschten Kirschstein.
„NIEMAND NENNT MICH EINEN LÜGNER!“
Der Lauf der Waffe ruckte bei jedem der gebellten Worte hin und her.
„Du kannst froh sein, dass mein Boss ein geduldiger Mensch ist. Sonst wäre hier und JETZT Schluss für dich. Aus. Ein kleiner Druck mit meinem Zeigefinger, ein lauter Knall und dein Gehirn würde als Sauerei auf dem Boden hinter dir enden.“
Der andere stand auf. Begann Dennis zu umrunden. Die Absätze seiner Stiefel produzierten Echos in der Kälte des Raums. Dennis konnte seinen Kopf nicht frei genug bewegen, um mit dem Blick zu folgen. Ein kaltes metallisches Etwas, dass einen Augenblick später von hinten an seinen Nacken gedrückt wurde, machte jedoch deutlich, wo der andere mit seiner Waffe war.
„Warum!“
Keine Frage. Ein Befehl. Dennis ahnte, dass es seine letzte Chance sein würde. Ahnte, dass der andere nun – Boss hin oder her – kein weiteres Hinhalten mehr dulden würde. Und er begann zu erzählen. Erst stockend, dann immer schneller:
<etwa drei Jahre zuvor>
„Ich war an einem Tiefpunkt angekommen. Am Morgen hatte mein Chef mir verkündet, dass er mir für diesen Monat kein Gehalt auszahlen konnte. Es war einfach kein Geld mehr da. Zwei der großen Kunden hätten die Rechnungen nicht bezahlt und jetzt würde alles den Bach runter gehen. An jenem Morgen habe ich ihm das abgenommen. Wahrscheinlich hat er mich auf dem falschen Fuß erwischt. Inzwischen weiß ich aber, dass der alte Drecksack lediglich die eigenen Schäfchen ins Trocken hat bringen wollen. Meine drei Kollegen und mich hat er geopfert. Großzügig hat er mir noch angeboten, er könne mir ein Top Zeugnis ausstellen, wenn ich mir etwas Neues suchen würde.
Was soll ich sagen: Morgens bin ich noch in der Hoffnung zur Arbeit gegangen, das laufende Projekt entscheidend voran zu bringen. Hatte am Abend zuvor noch einen genialen Einfall, wie ich den Programmcode umschreiben konnte, dass die gewünschten Reaktionszeiten endlich erreicht würden. Mittags stand ich ohne Job da.
Nach meinem mittelmäßigen Abitur und einer Ausbildung zum Informatiker und Netzwerktechniker und einer gerade einmal seit wenigen Monaten bezogenen eigenen Wohnung hatte ich plötzlich kein Geld mehr, um all das zu bezahlen.

An den auf diesen Tag folgenden Abend kann ich mich kaum erinnern. Ich habe mich abgeschossen. So richtig volllaufen lassen. Mitch und Puneet – bei uns hieß er scherzhaft „Computerinder“ - waren mit dabei. Beide hatten mit mir zusammen gearbeitet. Wer von uns dreien auf die Idee mit dem Speed kam, das kann ich nicht mehr sagen. Gut war die Idee jedenfalls nicht.
Der Morgen danach war hässlich. Kopfschmerzen und Übelkeit waren noch die geringsten Schwierigkeiten. Ich brauchte Tage, bis alles an meinem Körper wieder so funktionierte, wie es sollte.“
<zurück im Jetzt>
Dennis hatte angefangen, wie ein Wasserfall zu plappern. Hatte nicht einmal gemerkt, dass die Waffe nicht mehr weiter auf seinen Nacken gerichtet war. Erst jetzt wurde im klar, dass er wieder in die eiskalten blauen Augen seines Zuhörers blicken konnte.
„Worauf läuft das hinaus?“, fragte dieser ungeduldig und sichtlich gelangweilt, „wir haben nicht ewig Zeit, nicht wahr?“
Dennis musste ein derart dümmliches Gesicht bei dieser unterbrechenden Frage gemacht haben, dass der andere die Antwort nicht abwartete, sondern sofort nachhakte:
„Naja, da du Speed erwähntest, ahne ich, was jetzt kommt. Kannst du nicht den nächsten Teil überspringen und gleich zum wichtigen Ende kommen?“
Dennis war aus dem Konzept gebracht. Seine Erinnerungen schlugen für einen kurzen Moment Purzelbäume und er musste sich konzentrieren, den roten Faden wieder zu finden.
<etwa drei Jahre zuvor>
„Wo war ich… ach ja… Speed. Richtig. In den Wochen und folgenden Monaten wechselten sich Abstürze und Hochphasen ab. Ich verlor zwei meiner neuen Jobs, weil ich vergaß, rechtzeitig auf der Arbeit zu sein. Ertrank in einer Spirale aus Alkohol, Arbeitslosigkeit, gelegentlichem Speed und ein Stück weit auch Perspektivlosigkeit. Dabei gab es Jobs ohne Ende. Ich hätte bloß zugreifen müssen.
Richtig… ich soll schneller machen… in dieser Zeit habe ich meine Fähigkeit öfter eingesetzt. Oft genug versehentlich im Vollsuff. Gelegentlich aber auch absichtlich. Um mir einen Vorteil zu verschaffen. Die Idee mit dem Geld drängt sich mir auf. Und sie schien gut zu sein. Und leicht umzusetzen. Dachte ich jedenfalls.
Ich ahnte, dass der Kontakt, der uns das Speed besorgte, seinerseits Kontakte haben musste. Und dort, so überlegte ich mir, würde Geld gegen Ware getauscht. Der Kontakt hatte einmal davon gesprochen, dass er gar nicht wüsste, wer ihm den Stoff brachte, da alles ohne persönliche Übergabe erfolgen würde.
Ich zählte eins und eins zusammen und verbrachte Tage, vielleicht Wochen damit, den Kontaktmann zu verfolgen. Unsichtbar. Heimlich. So stieß ich auf dieses Gebäude. Auf den Wagen. Und schließlich auf das Geld.“

<zurück im Jetzt>
„UNSER Geld!“, unterbrach ihn der Fremde auf dem Stuhl.
„Du hast unser Geld gefunden und dir gedacht, es wird schon nicht auffallen, wenn ein Bisschen was fehlt, nicht wahr?“
Der lauernde Unterton der Frage blies die Sicherheit davon, die Dennis durch seine Erzählung ein Stück weit zurückgewonnen hatte. Eine unangenehme Stille entstand. Lange genug, dass Dennis begann, das Surren des ihn anleuchtenden Strahlers zu hören. Lange genug, dass Dennis Gedanken erneut anfingen, sich im Kreis zu drehen. Er suchte nach einer möglichen Antwort auf die Frage doch mit jedem Herzschlag, den die Pause andauerte, schien dies schwieriger zu werden.
„Hast gedacht, es fällt nicht auf und hast immer und immer wieder von der verbotenen Frucht genascht, nicht wahr?“, durchdrang die schneidende Stimme erneut den Raum der Stille.
„Ich gebe zu“, fuhr der andere mit lehrerhaftem Ton fort, „wir haben es anfänglich nicht gleich gemerkt und dann erst einmal die eigenen Leute verdächtigt. Kannst nur hoffen, dass dich Freddy, das Messer, nicht in die Finger bekommt. An ihm haben wir ein Exempel statuiert. Gut, er hatte es verdient. Mit oder ohne des Problems mit dem Geld. Aber dennoch: halte dich besser von ihm fern.“
Der blauäugige Fremde lachte kehlig und vor Schadenfreude triefend.
„Ehrlich, hast du wirklich gedacht, wir kommen dir nicht auf die Schliche? Hast du gedacht, wir lassen uns derart verarschen, dass wir nicht herausbekommen, wer uns Tausende von Euros gestohlen hat?“
Dennis wusste nicht, ob der andere tatsächlich eine Antwort erwartete und schüttelte kaum merklich den Kopf.
„Nein. Das glaubst du ja selbst nicht, nicht wahr? Hast dir wahrscheinlich gar keine Gedanken darüber gemacht. Dein Pech!“
Wieder eine nervtötende Pause. Konnte der andere das nicht endlich lassen? Dennis hatte immer das Bedürfnis losplappern zu wollen, wusste aber genau, dass er sich um Kopf und Kragen reden würde. Zwar zeigte die Mündung des Revolvers nicht mehr in seiner Richtung. Die Waffe lag lässig auf einem der Oberschenkel und fest im Griff der rechten Hand des anderen, war jedoch auf einen imaginären Punkt in der Ferne gerichtet. Dennis war froh, dass ihm das Reden erneut abgenommen wurde.
„Siebenundfünfzigtausend! Bist du dir im Klaren darüber, was das für eine Summe ist? Über die Konsequenzen hast du nicht nachgedacht, nicht wahr? Und jetzt sitzt du hier. Nackt. Gefesselt. Wenn es nach mir ginge: dem Tode geweiht…“
Pause. Die Waffe zuckte in seine Richtung. Dennis Herz hüpfte und sein Puls verdoppelte sich. Raste und ließ seinen Kopf klingeln. Ihm wurde schwindelig.
„Hast Glück, Dennis. Verdammtes Glück! Unsichtbarkeit! Krasser Scheiß ist das. Findet mein Boss jedenfalls.“
Der andere wirkte plötzlich abwesend. Gerade so, als ob er für einen kurzen Moment in eigenen Erinnerungen gefangen wäre. Dann wieder klar und gefasst:
„Ich mach es kurz, Dennis: Mein Boss bietet dir einen Deal an. Damit bleiben dir genau zwei Möglichkeiten.“
Pause. Lange. Dennis glaubte, sein Innerstes müsste jeden Moment zerspringen. Er fror und schwitzte zu gleich.
„Erstens“, fuhr der andere fort und wedelte dabei mit dem Revolver in Richtung Dennis, „du sagst nein und ich drücke ab. Kurz und schmerzlos. Kein Betteln, keine Gnade. Ein Knall und Ende.“
Wieder Pause. Nur ein Atemzug und doch lange genug um Dennis Panik eine weitere Stufe zu heben.
„Oder zweitens… du arbeitest für uns!“


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